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Das Namenbuch von Trans




Es geht zuerst um Namengebung überhaupt, dabei um die Unterjochung der Orte, Dinge, Tiere und Menschen, die mit Namen versehen werden. Speziell werden dann alle Namen von Menschen und Familien in Trans aufgelistet, Vergangenheit und Gegenwart geraten dabei in einen starken Kontrast. Die Namen der Tiere und die Namen der Häuser sind schnell überblickt, weitläufig aber ist das Feld der Flurnamen, die in romanischer und deutscher Sprache zusammengestellt sind. Sie werden in ihren Bedeutungen und in ihrem Zusammenhang mit dem alten bäuerlichen Leben gruppiert; sprachliche Vermutungen und Anregungen schließen das Heft ab. Auch der Name von »Trans« selbst wird ausgelegt.


Korrigenda zum Namen-Buch von Trans

(fünftes Neujahrsblatt)

Wer schreibt, dem wird geschrieben.

Während die ersten vier Transer Neujahrsblätter fast ein wenig an das einsame Pfeifen im Wald erinnerten (ein »Dankeschön« war zuweilen zu hören), bin ich als Herausgeber der Namensammlung im fünften Heft mit Zuschriften und Zuspruch sehr verwöhnt worden.

Darunter waren auch gar nicht wenige Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge, die ich hier gern nachtrage. Ich kann ja nur wiederholen, dass mir dieses Nachdenken über Sprache und Namengebung dann am meisten zu bedeuten hat, wenn es ohne alles Rechthabenwollen und ohne jede Verletzung gelingt. Ich entschuldige mich darum für alles, was geschmerzt haben könnte: Nie war es meine Absicht, eine Namengebung zu kritisieren. Wenn wir tiefer blicken, können wir ja auch erkennen, dass alle Namen neben ihrer neutralen Funktion und Bedeutung auch eine wohltuende und eine schmerzende Eigenheit ha-ben müssen ­ sonst wären sie nicht Namen.

Aus den Zuschriften ist zu entnehmen gewesen, dass einige wenige Namen vergessen gegangen sind.

Coray Dieser Familienname ist vor noch nicht langer Zeit in Trans anzutreffen gewesen, was mir leider entgangen ist. Mit dem -y am Ende war der Name seit altersher vertreten bei den Bürgern von sieben Gemeinden (vor allem im Oberland, doch auch etwas näher in Trins und in Lohn im Schams), dazu kommt die Namensform auf -i aus vier Gemeinden, darunter Fürstenau im Domleschg. Viele Coray brachten es zu Ehren, so finden wir Podestaten im Veltlin mit diesem Namen, auch einige Pfarrherren (unter welchen die Brüder Paul und Jakob als romanische religiöse Schriftsteller zu erwähnen sind). Am besten bekannt sind im siebzehnten Jahrhundert Johann de Corai, ein katholischer Führer zur Zeit der Bündner Wirren, und am Anfang unseres Jahrhunderts Richard Coray von Hohentrins, der als Zimmermann ein Meister des Gerüstbaues war und für sehr viele Viadukte die hölzernen Vorläufer schuf, so über die Sitter bei St. Gallen, die Saane in Fribourg, die Arosabahn in Langwies und die Bergstrecke der Albulabahn. In Zürich hieß während vieler Jahre eine ganz besonders schöne Galerie, die die frühe Moderne ausstellte, »Galerie Coray«. Zu meiner Schande muss ich nun bekennen, dass ich diesen Namen nicht zu erklären vermag. Ob er nun mit »cour«, dem Hof, mit »coeur«, dem Herzen, oder gar mit »courve«, dem runden Hügel, zusammenhängt ­ ich weiß es nicht sicher zu sagen.

Balthasar Dass es im Bündnerland viele Balzer gibt, wusste ich schon als Kind, dass der Name in meinen Unterlagen fehlte, fand ich überraschend. Jetzt ist ein Balthasar aus nicht lange vergangener Zeit zum Vorschein gekommen. ­ In der christlichen Legende ist Balthasar einer der drei Könige aus dem Morgenland (d.h. natürlich aus dem Osten, von Palästina aus gesehen), neben Kaspar und Melchior. Bibelkenner wissen natürlich, dass diese Könige eigentlich Astrologen waren, und zwar aus dem südlichen Irak. Weder von ihrem monarchischen Stand noch von ihren Namen findet sich etwas in der Quelle. ­ Der Name enthält den semitischen Gottesnamen »Baal«, den wir gut kennen als einen den Verfassern des Alten Testaments (die es mehr mit Jahwe hielten) gar nicht wohlgefälligen Konkurrenzgott aus Phönizien (dem heutigen Libanon). Außerdem ist uns Baal vertraut vom Namen des größten Schreckens der römischen Republik, dem karthagischen Feldherrn Hannibal, der als Anführer der Phönizier, die die Stadt Tunis einst begründet und zu einem großen Weltreich gemacht hatten, von Spanien her über einen Alpenpass mit vielen Kriegselefanten in Italien eingefallen ist und die Römer in mehreren Schlachten besiegte, die Stadt Rom aber nicht einzunehmen verstand. Der Name Hannibal bedeutet »Gott, d.h. Baal, ist gnädig«, so wie Johannes als »Gott, d.h. Jahwe, ist gnädig« übersetzt wird. Balthasar also bedeutet in den semitischen Sprachen, die man zur Zeit Jesu im ganzen nahen Osten, also auch im Irak sprach, »Gott, d.h. Baal, schütze sein Leben«.

Elias Der Name erscheint 1865; damals war ein Elias Battaglia Geschworener in Fürstenau für die Transer. Er bedeutet »Jahwe-ist-Gott«. Elias ist einer der bedeutendsten Propheten des alten Testamentes; im Neuen tritt er bei der Verklärung Jesu zusammen mit Moses neben den Gottessohn; in der gleichen Geschichte wird in einem Evangelium Johannes der Täufer als der auferstandene Elias betrachtet. Elias ist nämlich nicht gestorben; nach dem von ihm prophezeiten Tod des Königs Ahasja fuhr er mit einem feurigen Wagen, gezogen von feurigen Rossen, im Gewitter in den Himmel hinauf. Die berühmteste und sympathischste seiner Taten aber betraf eine arme Witwe, der er einen Topf verschaffte, in dem das Mehl nicht ausging, und einen Krug, dessen Öl nie zu Ende ging.

Risch Ebenfalls 1865 ist ein Risch aus Trans genannt; dies ist eine kurze Namensform zu Ulrich, einem ursprünglich germanischen Namen. Im ganzen Herzogtum Schwaben hat es immer wieder Edle dieses Namens gegeben, der auch beliebt war als Name von Äbten in St. Gallen und von Bischöfen in Chur. Ulrich I. versuchte vor genau 1000 Jahren die Königswahl von Heinrich II. zu verhindern und bekam bei der Versöhnung Güter im Breisgau geschenkt; Ulrich II. kam aus der Familie von Tarasp, Ulrich der III. war ein von Tegerfelden, Ulrich IV. ein von Kiburg, Ulrich V. war ein Ribi von Lenzburg, Ulrich VI. ein von Mont und Ulrich VII. einer von Federspiel. Wir finden außerdem in vielen Kantonen, vor allem aber in Zürich, Ulrich als Geschlechtsnamen, in vielen Gegenden von Graubünden auch Risch. Die Erklärung des Namens zeigt die beiden Teile »Uodal«, also Gut oder Heimat, und »Risch«, also Reich oder Herr. Ulrich ist demnach »der Güterreiche«.

Simon Das ist der schlimmste Lapsus im Transer Namenbuch gewesen, für den ich mich herzlich entschuldigen möchte: Irgendwie ist der Name Simon aus dem Manuskript verschwunden, und sein Feh-len blieb unentdeckt, als das Werklein erschien. Dabei ist es ein lebender Name, der überdies mit dem Bezug zur Kirche (St. Peter und Paul) auch tiefer verwurzelt ist.

Simon heißt eigentlich Simeon; zur Zeit Jesu war offenbar beides nebeneinander gebräuchlich, wer mehr hebräisch dachte, nannte seinen Sohn Simeon, wer modern (und das heißt damals, griechisch) eingestellt war, zog die Form Simon vor. Einer der zwölf Söhne Jakobs und damit ein Stamm von Israel nannte sich Simeon, das ist das früheste Vorkommen des Namens. Noch zur Zeit der Geburt Jesu heißt ein alter Mann, der im kleinen Kind den Verheißenen erkannt haben soll, Simeon (er wird zusammen genannt mit der Prophetin Hanna).

Zahlreich sind danach in der Bibel die Männer, die Simon heißen: Paulus begegnet einem Gerber dieses Namens in Joppe (heute Jaffa bei Tel Aviv), auch der Vater des Verräters (den die Christen leider ausgerechnet Judas Ischarioth nennen) heißt so, ferner ein Aussätziger und ein Pharisäer, von denen wir sonst nichts Näheres erfahren.

Ein Simon von Kyrene ist bekannter (die Stadt Kyrene liegt nahe bei Benghasi in Libyen auf einer großen Halbinsel, die man noch heute als »Cyrenaika« bezeichnet finden kann). Er wurde gezwungen, für den Heiland das Kreuz zu tragen, niemand kann erklären, warum.

Einer der Jünger heißt »der andere Simon«, natürlich wegen Petrus; er wird auch als »Simon der Eiferer« (Zelot) bezeichnet, weil er früher der Gruppe der Zeloten, einer freiheitsliebenden jüdischen Partei, die gegen die Römer Widerstand leistete, angehört haben muss. Ein Bruder Jesu muss ebenfalls Simon ge-heißen haben.

Der Begriff der »Simonie« (Korruption, Ämterkauf), der im Mittelalter viel gebraucht wird, wenn es um Missstände in der christlichen Kirche geht, führt sich auf einen Zauberer namens Simon zurück, der neidisch wurde, weil die Jünger Jesu so gewaltige Heilerfolge hatten, dass seine Zauberei daneben zu verblassen drohte. So kam er auf die naheliegende Idee, dem Simon Petrus seine therapeutische Kraft, den Heiligen Geist, abkaufen zu wollen. Es heißt zwar, er sei zuerst Christ geworden, bevor er sich das verhängnisvolle Geschäft einfallen lieߊ Petrus verfluchte ihn zunächst und wusch ihm die Kappe; danach aber scheint der Zauberer um Vergebung gebeten und diese auch erlangt zu haben.

Und damit sind wir bei ihm: am berühmtesten ist natürlich der bekannte Jünger Jesu, den dieser Petrus taufte, der zuerst noch Simon geheißen hatte und oft mit dem Doppelnamen Simon Petrus genannt wird. In der Peterskirche in Rom kann man, im großen Rund unter der Kuppel, den berühmten Lobspruch auf Petrus lesen, wie er im Matthäusevangelium steht: »Selig du, Simon, Jonas Sohn Š Du bist Petrus (= der Felsen), und auf die-sen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs gebenŠ«.

Als Erklärung des hebräischen Namens wird uns »der Erhörte« angeboten, aber auch »der Ruhmreiche«.

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Nur ein einziger Flurname scheint mir entgangen zu sein; jedenfalls ist mir kein einziger anderer genannt worden (schmunzelnd aber wurde der eine oder andere »Fund« in Zweifel gezogen in den Fällen, wo ich nicht genau habe angeben können, wo der genannte Platz denn sein soll). Das ist

Mulegn digl Battaglia (die Battagliamühle). Sie ist ganz sicher identisch mit der Mühle unten in Glix, also Nr. 126. Es hat in Trans keine andere Mühle gehabt. Die heute in Trans verschwundene Familie Battaglia, die in vielen Dörfern Graubündens, vor allem aber in Scheid beheimatet ist, existiert auch noch in ihrem hiesigen Zweig unter den Ausgewanderten, beispielsweise in Basel. Vielleicht können wir in einem späteren Heft einmal alle auswärtigen Transer zusammenstellen, soweit sie in der Gemeinde noch bekannt sind.

Vermutlich hat über längere Zeit das Amt des Müllers der gleichen Familie gehört; diese Stabilität der Berufe war ja vor 1800 selbstverständlich.

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Zuschriften, vor allem von Einheimischen, aber auch von auswärtigen Sprachwissenschaftlern, haben viele meiner Deutungen verbessert oder ersetzt.

Ein Transer, der es wissen muss, der mir sehr viele von den Flurnamen überhaupt genannt und erklärt hat, hatte mir schon vor der Niederschrift gesagt, dass es für ihn ein auf »Pferde« hinweisendes »Tgavals« in Trans nirgends gibt. Er zieht also das von uns auch angegebene »Grä-ben« vor für »Bei den Pferden« (Nr. 257), würde von der »Grabenweide« reden in großer Höhe anstatt von einer Rossweide (Nr. 19) und von der »Grabenquelle« hinter Muletgs anstatt vom Rossbrunnen (Nr. 97).

Schlimmer ist das Versehen bei der «Jagd- und Hirtenhütte» (Nr. 252), die gar nie existiert hat und darum auch nicht nach Plaun vurtgias hat verschoben werden können. Diese ist viel mehr eine »Forst- und Hirtenhütte«, sie müsste also »Tigia da varda-guaults e pasturs« genannt werden. Ich bitte um Verzeihung.

Ein anderer ist gar nicht einverstanden mit meiner Behauptung, der Name »Schinutta« sei im Fall des als »Tgea Schinutta« beschrifteten Hauses gewandert (etwa ähnlich wie der Name »Crusch«). Auch er wird recht haben.

Ich habe unser Namenbüchlein natürlich mehreren Sprachwissenschaftlern der romanischen Sprachen geschickt, wie ich es mit diesem Heft auch wieder tun werde. Einige haben darauf Spaziergänge im tiefen Schnee gemacht, um unsere Fluren kennenzulernen. Drei Gelehrte schlugen Verbesserungen bei Namenserklärungen vor; ich stelle sie hintereinander:

Der erste, ein Hispanist, schlägt vor, den Namen »Barandun« sozusagen als »Hager« zu erklären, oder allenfalls als »Bärenhager«. Er findet in der Endung -dun (wie in »London« oder in »Kloten«, in »Noviodunum« = Nyon oder in »Lugdunum« = Lyon oder »Augustodunum« = Autun) einen keltischen »Zaun«; in »Baran« (russisch »Hammel«!) einen germanischen »Bären« oder lieber noch ein keltisches »Randa« (das wir im portugiesischen »Veranda« kennen!), was auch wieder »Zaun« bedeutet. Dieser Sprachkenner liebt Trans von einem Besuch her sehr und versteht sich wie auf das Spanische auf alle romanischen Sprachen. Er ist Lehrer und, wie mir von vielen Kennern versichert wird, ein Reiseführer, der einem Spanien unvergesslich machen kann.

Der zweite, auch er ein Lehrer des Französischen und des Spanischen, einer der Gründer der Maturitätsschule für Absolventen von Rudolf-Steiner-Schulen, ein guter Freund und genauer Leser, reagierte sofort auf meinen Versuch, aus »Ravinus« klug zu werden. Ich habe ja bei diesem Wort kapituliert, weil ich es mir nicht erklären konnte (»Trümmerfeld« ist mehr eine Ortsbeschreibung, und das mit »Ruine« zusammenzubringen, habe ich dann doch nicht gewagt!). Dieser Sachverständige fand nun in seiner Erinnerung an das Welschland sofort das lateinische Wort »rapina«, und schlug dann im »LE ROBERT« nach, einem ausgezeichneten historischen französischen Wörterbuch (das nur zufällig den gleichen Namen trägt wie er!), und da stieß er auf zwei Wörter: »le ravin«, das jüngere von beiden, das erst (!) 1460 bezeugt ist, und »la ravine«, das ältere, das die Erklärung gibt. Eine »Ravine« ist eine »chute de terre« oder eine »avalanche«, also ein »Erdschlipf« oder eine »Wühre«, ein Wort, das es heute allerdings nur noch literarisch gibt. Ein »ravin« ist demgegenüber immer noch gebräuchlich, und bedeutet immer ein kleines, sehr enges Tälchen mit sehr steilen Hängen, also eine kleine Schlucht oder ein Tobel. ­ Herzlichen Dank für diese Verbesserung.

Der dritte Sprachkenner, ein Deutschlehrer (übrigens ebenfalls ein Kenner und Liebhaber unserer Transer Sonnenterrasse und ein sehr sorgfältiger Germanist), sagte zu mir, ich sollte (seinen) Namen »Alexander« besser erklären. Für ihn ist es nicht der, der bei den Män-nern Unterstützung findet, sondern der, der die Männer abwehrt. ­ Schließlich hat noch eine andere Person den Namen Alexander mit Pferden in Zusammenhang bringen wollen (also so wie den Sohn Alexanders des Großen, der ganz zweifelsfrei »der Freund der Pferde« heißt, Philipp!). Dieser Name stammt aus der makedonischen Sprache, die uns ganz unbekannt ist, was die Unsicherheit gut erklärt.


Wer mir persönlich etwas zum Transer Namenbuch mitzuteilen hat, kann hier mailen: dejung@samisdat-dejung.ch

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