www.samisdat-dejung.ch  

Ketzerei




Ketzerei




Kurze Beschreibung des Buches »Ketzerei«

Dreizehn Essays über das unterschätzte Phänomen der Häresie ­ Versuch einer Häresiologie. Diese Arbeit führt den Leser von Einsicht zu Einsicht, ohne je den Eindruck zu erwecken, diese Einsichten seien ein Produkt des Verfassers oder wären eine endgültige Wahrheit. Denn im Hintergrund des Phänomens steht ja die verhängnisvolle Wahrheitsauffassung, die mit der Endgültigkeit und Allgemeinheit spielt, wie wir sie von der Mathematik gelernt haben. Sowohl die Lehrmacht (die Orthodoxie) als auch der Wahrheitsfanatiker (der Ketzer) sind im Recht, aber weder die eine noch der andere haben Recht »auf immer«. Gemeinsam ist ihnen die Unterschätzung des Lebens: Viel dauerhafter als die Wahrheit ist der Mensch. Ohne Ketzerei gibt es keinen Geist und vor allem keine Geschichte.


Inhaltsverzeichnis

Vorrede

1. Was ist ein Ketzer?
Am Beispiel von Martin Luther wird die Definition des Ketzers erklärt und durchsichtig gemacht. Am klarsten wird dabei, dass ein Ketzer niemals freiwillig Ketzer ist; von subjektiver Seite her ist er der orthodoxere als die Orthodoxie. Ketzer sind Wahrheitsfanatiker.

2. Christliche Ketzerlehren
Die Geschichte der frühchristlichen Häresien ist nicht nur inhaltlich interessant; sie lässt den Begriff der Ketzerei von einer neuen Seite begreiflich werden. Sie lässt insbesondere die Entstehung der Ketzerei klar werden.

3. Die Verketzerung
Am Beispiel von Spinoza wird die externe Seite der Ketzerei, aber auch die Vielfalt ihrer Spielarten erläutert. Wirklicher Ketzer und scheinbarer Ketzer werden unterscheidbar.

4. Der Ketzerprozess
Das Beispiel der kommunistischen Ketzer, die Stalin in den Prozessen der Dreißigerjahre verfolgen ließ, wird das Modell des Ketzerprozesses aufgerollt. Am Beispiel der Hexenüberführung in Umberto Ecos »Name der Rose« erscheint das tiefere Wesen davon.

5. Der schlaue Ketzer
An verschiedenen katholischen Lehrern des 20. Jahrhunderts wird das Wesen des Ketzers gezeigt, der der Verketzerung aszuweichen versteht. Es zeigt sich, dass der schlaue Ketzer die Logik der Verketzerung widerlegt. Im Idealbild, etwa bei Johannes Denck im 16. Jahrhundert, triumphiert der schlaue Ketzer als wahrer Freund der Wahrheit.

6. Der feige Ketzer
Drei Beispiele von feigen Ketzern werden studiert: Die sehr verdächtige Gestalt von Johannes Reublin, die erschütternde von Balthasar Hubmaier und die rationalistische des Brechtschen Herr Keuner. Der feige Ketzer ist gar nicht feige.

Meditation
Zufälligkeit, Schwäche und Verletzlichkeit der Wahrheit sind die eigentlichen Hintergründe der philosophischen Suche nach dem Sinn der Ketzerei. Diese ist wichtig, weil das Selbstgefühl der Fortschrittlichen und Aufklärer, »die Wahrheit kann uns nicht gestohlen werden«, töricht und gefährlich ist.

7. Der Ketzer des Staates
Man muss den Staat (im Sinn der griechischen Polis) als eine Orthodoxie mit Lehrmacht und Autorität verstehen; auch er bringt also Ketzer hervor, denn auch er verbessert die Menschheit nicht, so wenig wie die Religion. Er bringt in Sokrates einen Ketzer hervor, der in der Freiheit endet, vor dem Tod furchtlos zu sein, und der darum als einziger Ketzer kein Märtyrer ist. Es ist bei ihm auch besonders leicht zu erkennen, dass er als der beste Bürger zu gelten hat.

8. Der Ketzer aller Ketzer
Dieser ist nicht Sokrates, sondern gegen allen Anschein Jesus. Er dürfte in der modernen Welt aktueller und wichtiger sein als der Philosoph.

9. Die positive Ketzertheorie
Die »positive« Theorie des Ketzertums stammt von Sebastian Franck (1499-1543). Sie beruht auf vier Einsichten: Wahrheit kann immer nur ketzerisch sein. Da sie also unterliegen muss, wird sie nur durch Leiden gelernt. Extreme Selbstlosigkeit ist ihr Merkmal. Weil die Gruppe das Substrat jeden Interesses ist, ist Ketzerei stets einzeln. Als wesentliche Leistung schreibt sich Franck die Einsicht zu, dass aus der Ketzerei allein Geschichte werden kann. Diese ist ein Leiden, aus dem wir lernen.

10. Die Enttäuschung des Ketzers
An sechs Beispielen wird gezeigt, dass die Ketzerei immer ihren Ketzer findet, der sie überführt, nicht mehr zu sein, was sie zu sein versprach. In der Politik der Linken, im genossenschaftswesen, in der Medizin oder Psychoanalyse, in der Nationalökonomie wie im aufklärerischen Liberalismus: Stets ist es die gleiche Art von »Unrecht«, mit dem dem Ketzer Recht geschieht.

11. Theorien der Ketzerei
Drei Theorien gibt es, die auf philosophische Art der Ketzerei Herr zu werden versuchen: Dialektik, Dialogik und negative Dialektik. Alle drei tragen zum Verständnis der Sache bei, bleiben aber vor dem letzten Geheimnis stehen.

12. Die Erklärung der Ketzerei
Historische, soziologische und psychologische Erklärungen bieten sich zur wissenschaftlichen Bewältigung des Phänomens an. Sie haben eklatant recht und sind doch völlig ungeeignet, die Tiefe des Phänomens aufzuklären. das liegt in erster Linie daran, dass sie genau jene Auffassung von Wahrheit ausschließen müssen, die allein zur Einsicht in die Problematik helfen würde.

13. Die Bedeutung des Ketzers
Wenn nicht alles täuscht, liegt der eigentliche Wert der Ketzerei darin, dass er die falsche Auffassung von Wahrheit persönlich widerlegt. Die Wahrheit, um die es geht, gibt es gar nicht auf Dauer.

Quellen

Eine Sentenzensammlung aus »Ketzerei«



1. Was ist ein Ketzer?


Ein Ketzer ist nicht einer, der auf eine ketzerische Idee gekommen ist.

Meistens will der Ketzer bewusst orthodox sein.

Es gibt keinen Ketzer ohne Verketzerung.


2. Christliche Ketzerlehren


Ketzerei ist ein völlig relativer Begriff.

Christsein heißt bekennen. Darum gibt es im Christentum immer wieder Ketzer.

Die Definition der Ketzerei als unvergebbarer Sünde ist das denkbar schärfste Disziplinierungsmittel.

Es gäbe keine Orthodoxie ohne die Ketzerei.

Die Enttäuschung über die ausbleibende Parusie wird in Selbstzweifel umgebogen. Die Ausstoßung der Ketzer rettet die Zurückbleibenden vor der Verzweiflung.


3. Die Verketzerung


Der Ketzer kann die Wahrheit der Religion unangetastet lassen, aber ein Element darin hervorheben. Er kann auch die bisherige Wahrheit leugnen. Aber eigentlich meint er in beiden Fällen nur, dass er die Wahrheit besser verstünde und eigentlich weder ergänze noch leugne.

Voraussetzung der Ketzerei ist die Existenz einer Gemeinschaft, der der Einzelne nicht entrinnen kann.

Es braucht eine Gemeinschaftsautorität, eine Lehrmacht, die sich um die Einzelnen sorgt.

Die Macht muss über öffentliche Gewaltmittel verfügen.

Die Lehrer der Wahrheit fürchten den, der weiter denkt.

Gefürchtet wird der, der die äußeren Bekenntnisse zurückhält und mystische Wege sucht.

Am meisten wird gefürchtet, wenn einer allein stehen will.


4. Der Ketzerprozess


Der Ketzer bekennt sich als objektiv im Unrecht, subjektiv aber als unschuldig.

Die vollendete Form des Prozesses ist der Ketzerprozess, dessen vollendete Form aber der Hexenprozess.

Dass die Gegensprache erst die Wahrheit eines Gesprächs möglich machen würde, macht den Ketzerprozess wertlos.


5. Der schlaue Ketzer


Ohne Verketzerung kein Ketzer.

Der schlaue Ketzer übt gegen die Orthodoxie, was sie gegen ihn üben müsste: Toleranz.

Der schlaue Ketzer ist ein Egoist der Wahrheit. Es ist genau umgekehrt wie beim feigen Ketzer, den alle für einen Egoisten halten, und der es nicht ist. Als frei gewählte ist die Ketzerei des schlauen Ketzers die schönste.


6. Der feige Ketzer


Der feige Ketzer ist der Mensch, der mit der Gewalt Auge in Auge verkehrt.

Der feige Ketzer lebt auf Hoffnung hin.



Meditation



Was hat eigentlich die Natur sich dabei gedacht, als sie mein Bewusstsein entstehen ließ.

Keine Wahrheit ist vollendet, sie wartet stets auf Erweiterung und vervollständigung.

Das Wesen der Wahrheit ist, auch wenn philosophisch nicht angemessen formulierbar, als bekannt vorauszusetzen.

Selten bin ich imstande, angemessen zu denken.
Denn die Wahrheit muss nicht werden. Sie ist frei von allem Zwang. Im RahmeN der Natur ist sie ein unvergesehenes Jenseits, das den Gang der Dinge nicht aufhalten wird. Ihr zu folgen, heißt in einem ganz bestimmten (unscheinbaren) Punkt, der Natur nicht zu folgen.


7. Der Ketzer des Staates


Wissen macht gut, das ist das, woran der Bürger nicht zweifeln darf.

Wissen macht nicht gut, weil es mit Doxa, minderwertiger Informationsaufnahme, verwechselt wird.

Der nachweis, keiner wisse etwas, sollte den Menschen dienen.
Der Satz »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, ist eine Paradoxie. Den Tod als Untergang anzuzweifeln, ist noch paradoxer, als alles andere.



8. Der Ketzer aller Ketzer


Der Ketzer ist einsam.

Der Ketzer verkörpert Autorität.

Der Ketzer hat einen prophetischen Glauben.

Der Ketzer ist ein moralischer Rigorissimus.
Der Ketzer lehrt die Umkehrung aller Werte.

Der Ketzer spottet aller Verantwortung.

Der Ketzer ist ein Entlarver.

Der Ketzer ist der Marginale schlechthin.



9. Die positive Ketzertheorie


Nur der verfolgte Ketzer hat Erfahrung des Wahrheit. Wer bei der Herrschaft bleibt, sich mit der Gruppe identifiziert, ist der Parteilichkeit und Unwahrheit verhaftet. Wer Erfolg sucht, kann ihn finden, mit ihm aber immer Irrtum, Unbewusstsheit, Unwahrheit. Wahr ist nur die Geschichte der Unterdrückten ­ und mit ihnen kann sich nur der Ketzer verständigen, der ihr Schicksal teilt. das Prinzip der Wahrheit (Was früher »Gott« genannt wurde) kommt nur in der Niederlage zum Vorschein. Geschichte kann davon, vom Schicksal Christi, zeugen.



10. Die Enttäuschung des Ketzers


Die Ketzerei der »Aufklärung« erzeugt besonders viele »Ketzer des Ketzers«.

Der erfolgreiche Ketzer dementiert sich.

Über die Zeit gegenwärtig, schon als Gerücht, ist der Ketzer nicht mehr Ketzer.

Der Ketzer des Ketzers ist der, der den Ketzer ernst nimmt. Er will nicht wahr haben, dass die Ketzerei sich selbst dementiert. Indem er sie auf den Ketzer selbst zurückwendet, hofft er, sie zu retten.

Wir wissen nichts auf Dauer.



11. Theorien der Ketzerei


Auch als Ketzerei kann es sich Historie nicht leicht machen.

Nichts, was festgehalten wird, kann das gleiche bleiben.

Nur in einem Gespräch kann Wahrheit sein, und zwar nicht in einem Beitrag, sondern im Zwischen.

Nur Negationen sind wahr.



12. Die Erklärung der Ketzerei


Voraussetzung der Ketzerei ist eine bestimmte Form der Wahrheit, die in gemeinsamer Überzeugung bewahrt wird; der Ketzer versteht diese besser und will sein Verständnis zur Geltung bringen; er wird verketzert und verfolgt.
Von den Theorien der Ketzerei, die diese »retten«, sind die Erklärungen zu unterscheiden.



13. Die Bedeutung des Ketzers


Wir wissen genau, was wir zu tun hätten.

Der Ketzer ist die Bedingung der Wahrheit, nicht umgekehrt.

Viel dauerhafter als die Wahrheit ist der Mensch.
Darum lohnt es sich für die Ketzer, ihr Leben an die Wahrheit zu wenden. Sie dringen ein.


Wer mir persönlich etwas zu »Ketzerei« zu sagen hat, kann hier mailen: dejung@samisdat-dejung.ch

Wer keine Mitteilung machen will, sondern das Buch aus dem Samisdat bestellen will, kann mir das folgende Bestellformular senden.


(zurück zur Startseite des freien Geistes)



weiter zur nächsten Seite